Poseidon Expeditions Magazin
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Das Leben und die Expeditionen von Umberto Nobile

Norweger, Briten, Russen und auch ein paar Deutsche und Österreicher stehen in der "Heldenzeit" des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts an der Spitze der Polarforschung. Wir denken an Ernest Shackleton und Robert Falcon Scott, Georgy Sedov, Roald Amundsen und Fridtjof Nansen sowie an die berühmte Payer-Weyprecht-Expedition. Doch auf ähnlichem Level befindet sich auch ein italienischer Luftfahrtingenieur, Pilot und Forscher - Umberto Nobile.

Nobiles Anrecht auf polaren Ruhm begründet sich darin, dass er und Roald Amundsen im Mai 1926 als erste einen Flug zum und über den Nordpol durchführten - zu diesem Zeitpunkt ein für Luftfahrer noch unerreichtes Ziel. Dass sie tatsächlich die ersten waren, wurde jedoch zunächst nicht anerkannt, aber dazu im Folgenden gleich mehr.

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Luftschiff Enthusiast aber zunächst noch kein Polarforscher

Umberto Nobile wuchs in Süditalien auf und schloss 1906 sein Ingenieurstudium an der Universität Neapel mit einem Diplom ab. Er interessierte sich ab 1911 für Luftfahrttechnik und insbesondere für die aufkommende Entwicklung von Luftschiffen, die unter anderem von Ferdinand Graf von Zeppelin konstruiert wurden. Der tatkräftige 33-Jährige gründete 1918 ein kleines Ingenieur- und Konstruktionsbüro zum Bau von Luftschiffen, wurde als Testpilot zugelassen und hielt Vorlesungen an seiner Alma Mater, wo er als einer der ersten die Idee halbstarrer Luftschiffe anstelle starrer oder nicht starrer Ausführungen propagierte. Er arbeitete zudem als Berater bei Goodyear in Akron, Ohio, USA. Bei seiner Heimkehr 1923 geriet Nobile in verschiedene politische und geschäftliche Kontroversen und sehr wahrscheinlich lag ihm die Polarforschung eigentlich nicht besonders am Herzen.

Dies änderte sich zwei Jahre später, als Roald Amundsen, der als erster Mensch, der den Südpol bezwungen hatte, und entsprechend bereits seit fast zwei Jahrzehnten weltberühmt war, Nobile wegen einer Luftschiff-Expedition zum Nordpol kontaktierte. Dessen neues Luftschiff, die N-1, wurde für dieses Unterfangen in Auftrag gegeben und von Amundsen in "Norge" umbenannt. Der Norweger bestand außerdem darauf, dass Nobile selbst der Pilot sein würde.

Ein Nordpolflug an Amundsens Seite

Die Norge wurde ohne Zwischenfälle von Italien nach Ny-Ålesund auf Spitzbergen überführt, wo sie am 11. Mai 1926 zu ihrem historischen Flug abheben sollte. In einer seltsamen Wendung des Schicksals, die kurioser ist als jede Fiktion, brachen Richard E. Byrd und Floyd Bennett nur zwei Tage zuvor, ebenfalls von Spitzbergen aus, in einer Fokker F-VII zu ihrem Nordpolversuch auf. Als sie nach nur 16 Stunden zurückkehrten, behaupteten sie, dass sie einen Überflug von 90º nördlicher Breite, also den Nordpol, erreicht hätten.

Nachdem sie Byrd zu seiner Leistung gratuliert hatten, kehrten Amundsen und Nobile zu ihrer ursprünglichen Aufgabe zurück und hoben planmäßig von der kleinen Siedlung ab, drifteten 15 Stunden geräuschlos über den Pol und landeten zwei Tage später in Teller, Alaska. Ironischerweise und nach jahrzehntelangem Streit kam man viel später mit ziemlicher Gewissheit zu der Erkenntnis, dass Byrd den Nordpol nicht erreicht hatte. Mutmaßlich zwang ein Ölverlust die Fokker, früher als geplant nach Spitzbergen zurückzukehren, zusätzlich gibt es starke Indizien dafür, dass die Navigationsdaten, die das Erreichen des Pols beweisen sollen, manipuliert wurden.

Ein weiterer Polarflug und der Tod des Kameraden

Zwei Jahre später und weiterhin leidenschaftlich an der Erforschung der Polargebiete interessiert, steuerte Nobile ein weiteres Luftschiff, die Italia, auf einen erfolgreichen Flug zu einer sibirischen Inselgruppe in der Arktis und dann weiter zum Nordpol. Bei der Rückreise nach Spitzbergen geriet die Italia jedoch in einen schweren Sturm und stürzte nur 30 Kilometer vor ihrem Ziel ins Meer ab. Zehn der Männer, darunter Nobile, wurden auf das Eis geworfen, wobei einige von ihnen schwerste Verletzungen davontrugen. Den sechs Männern, die auf dem beschädigten Luftschiff zurückblieben, gelang es noch, einige Vorräte und eine Funkausrüstung abzuwerfen, bevor der Sturm die Italia mit den sechs Männern an Bord in das tosende Unwetter fegte. Ihr Schicksal wurde nie eindeutig geklärt.

Nobile und die anderen Überlebenden wurden durch eine ganze Reihe von Hilfsmaßnahmen gerettet, die jedoch zu umfangreich sind, um in diesem MAGAZIN Beitrag näher erläutert zu werden. Eine bemerkenswerte und zugleich sehr traurige Folge der Rettungsbemühungen war jedoch der mutmaßliche Absturz eines französischen Wasserflugzeugs, das sich den Suchbemühungen von Tromsø aus anschließen wollte. Die Überreste der sechs an Bord befindlichen Männer - darunter auch Roald Amundsen - wurden nie gefunden.

Da Nobile bereits so früh in seinem Leben seine Erfolge erreichte, waren seine späteren Lebensjahre süß. Er übernahm den Titel des Ersten, der zum Nordpol flog, arbeitete und lehrte sowohl in der Sowjetunion als auch in den Vereinigten Staaten und kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück in sein geliebtes Italien und an die Universität von Neapel, wo er als Dozent lehrte. Umberto Nobile starb am 30. Juli 1978 in Rom, nachdem er den 50. Jahrestag seiner beiden Polarexpeditionen begehen konnte.