Poseidon Expeditions Magazin
Poseidon Expeditions //

Abenteuer Nordpol

Erinnerungen an meine Nordpol Expedition

Von Steve Wellmeier

Sie sagen, dass Sie gerne reisen und schon überall auf der Welt waren, sogar in der Antarktis, dem siebten Kontinent. Dann sind Sie vielleicht ein Mitglied des "Travelers' Century Club"? Sie waren in allen Hauptstädten Europas, in Wildreservaten in Kenia und Tansania. An Orten voller Kultur, mit Restaurants und Museen auf einer Seite und auf der anderen Seite in entlegenen Regionen, in denen wilde Tiere herrschen und Normalsterbliche Mutter Natur lediglich ihre Aufwartung machen.

[spoiler]

Sie fragen nach alledem: "Warum?". "Warum sollte ich zum Nordpol wollen?" Sie sind nicht der "Bucket-List"-Typ und Sie erkennen nicht wirklich den Sinn einer solchen Reise, insbesondere nachdem Sie bereits die arktische Tierwelt in Spitzbergen erlebt und gewaltige Eisberge in Ostgrönland bestaunt haben.

Warum zum Nordpol? Diese Frage habe ich mir auch gestellt

Nun, vielleicht weil meine Nordpolreise rückblickend eine der denkwürdigsten Reisen ist, die ich je gemacht habe. Ich habe mir einen atomgetriebenen Eisbrecher mit 120 anderen Gästen aus Australien, China, Deutschland, der Schweiz, Italien, Singapur, Indien, den USA und anderen Ländern geteilt. Ich bin zum nördlichsten Punkt der Erde gereist, in die Mitte eines gefrorenen Weltmeeres, zu einem Ort, der keiner Nation gehört, sondern uns allen. Ich stand spät in der Nacht, unter der Mitternachtssonne, allein am Bug und verfolgte die Eissplitter und das Knacken des Eises Hunderte von Metern vor mir, und das Vibrieren des Schiffes war schon längst kein fremdes Gefühl mehr, sondern vielmehr eine vertraute Erfahrung von Stärke und Sicherheit.

13 Tage Nordpol Reise voller unvergesslicher Erinnerungen

Ich dachte mir, bei 13 Tagen Aufenthalt an Bord des Schiffes und lediglich drei Tagen für die geplanten Anlandungen im Franz-Josef-Land gäbe es genügend Gelegenheit, um Zeit totzuschlagen. Bestimmt wäre genügend Zeit zum Entspannen vorhanden. Also lieh ich mir in der Einschiffungsstadt Murmansk für 100 Dollar eine Gitarre aus, nahm sie mit und lernte EIN neues Lied. Also nicht wirklich das Dutzend neuer Songs, die einzustudieren ich glaubte, die Zeit zu haben. Kurz nach Beginn der Reise sahen wir eine Eisbärenmutter und ihr einjähriges Junges auf den Eisschollen einige hundert Kilometer südlich von Franz Josef Land umherstreifen. Wir hatten es wirklich nicht eilig, und so brachte der Kapitän unser 75.000 PS starkes "Home-Away-From-Home" für eine Stunde zum Stehen, während wir die Backbord-Decks säumten, größtenteils sprachlos, die Kameras surrten, prägten sich die Bilder und die knurrenden Geräusche unauslöschlich in unsere Erinnerungen ein.

Auf See - beziehungsweise im Packeis - lauschten wir lehrreichen und unterhaltsamen Vorträgen und stellten dabei viele Fragen: über das Verhalten, die Lebensbedingungen und die bevorzugte Nahrung der Eisbären; über die gescheiterten Expeditionen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von Franz-Josef-Land aus versuchten den Nordpol zu erreichen; über den alljährlichen Kreislauf der Eisschmelze und des Gefrierens des arktischen Ozeans und wie dieser durch den Klimawandel betroffen ist; über die Walrosse, die wir auf Eisschollen ausgebreitet sahen; und über die Vogelwelt, die wir in der kurzen Sommersaison zu Zehntausenden beobachten konnten, als sie wie eine Art lebende Tapete die Felswände bedeckten, um ihren Beschäftigungen nachzugehen und ihre Jungen zu versorgen.

Erlebnis Eisbrecher Expedition zum Nordpol

Aber am meisten faszinierte mich die unendliche Aussicht, die Eismassen vom Rumpf wegschießen zu sehen, über die Decks zu wandern oder die offene Brücke des Eisbrechers aufzusuchen, warm und windgeschützt, stets auf der Suche nach einem neuen Ausblick. Die Gitarre konnte warten. An der Reling eines Unterdecks zu stehen, war eine besonders beeindruckende Erfahrung, da sich die riesigen etwa zwei Meter dicken bläulichen Eisbrocken lautstark aufbäumten, fast auf Augenhöhe und nur wenige Meter entfernt, ehe sie rückwärts stürzten, während sich das Schiff unaufhörlich weiterbewegte.

Mit dem Wort Nervenkitzel lässt sich nur schwer beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man vom Hubschrauber aus zusieht, wie dieser das mächtige Schiff langsam umkreist und den Eisbrecher dabei beobachtet, wie er das tut, was er am besten kann. Alle Passagiere haben in der Regel mehrere Male die Chance, einen derartigen Überblick aus der Vogelperspektive zu genießen, und keiner hat diese Möglichkeiten ausgelassen. Bei einer anderen Gelegenheit schwebten wir über die Front eines mächtigen Gletschers und konnten dabei tief in die blauen und schwarzen Spalten blicken, die seine schroffe Oberfläche zerrissen.

Mit allen Annehmlichkeiten auf Kreuzfahrt zum Nordpol

Die Annehmlichkeiten des menschlichen Wohlergehens kamen nicht zu kurz und waren jederzeit verfügbar: Kaffee und Tee rund um die Uhr, eine behagliche Bibliothek und ein gemütliches Spielezimmer, eine schöne, nach vorn gerichtete Lounge mit einem mehr als fähigen Barkeeper, eine Sauna und ein beheizter Meerwasserpool, eine fähige Masseurin und eine komfortable Kabine mit zwei Einzelbetten, in der meine Gitarre viele Stunden allein verbrachte und sanft weinend auf meine Gesellschaft wartete. Die Mahlzeiten waren stets ein Erlebnis, auf das man sich freuen konnte - üppige Büffets und à la carte-Spezialitäten - meisterhaft zubereitet von Schweizer Küchenchefs. Jede Mahlzeit war ein festlicher Anlass, jedoch nur ein Vorgeschmack auf das, was uns während unseres Tages auf dem Eis auf 90º nördlicher Breite, also exakt am geografischen Nordpol, dem Gipfel der Welt, erwartete.

Eine Feier am Nordpol

Wir erreichten die exakte Position spät in der Nacht und feierten standesgemäß mit Champagner und ausgelassener Musik auf dem Vorderdeck, gut verpackt gegen die Kälte in unsere Parkas, aber gewärmt durch die Gemeinschaft und die Freude unserer Reisegefährten. Am folgenden Tag, der Eisbrecher im festen Eis geparkt, spazierten wir umher. Wir schossen Schnappschüsse, auf denen wir uns beim Ziehen des 23.500 Bruttoregistertonnen schweren Schiffes an einer Leine fotografierten. Wir sprangen mutig mit einem um unsere Mitte gesicherten Seil in das fast gefrorene Wasser und erhielten einen Schuss klares russisches Destillat, nachdem wir erfolgreich aus dem Ozean geklettert waren. Wir genossen ein Barbecue, Picknick, Wein und Bier. Als Krönung reichten wir uns die Hände - Reisende aus der ganzen Welt - und zogen um den Globus, wie es sonst nirgends auf der Welt möglich ist. Ein außergewöhnlicher Moment auf einer außergewöhnlichen Reise an Bord eines außergewöhnlichen Schiffes.

Es gibt wirklich nichts Vergleichbares.