Poseidon Expeditions Magazin
Christian Hoppe //

Poseidon Expeditions Buchclub: Expeditionskreuzfahrten im 19. Jahrhundert

Sandra Walsers "Auf Nordlandfahrt: 1896 von Hamburg nach Spitzbergen" beschreibt die Geburt des Expeditionstourismus

Wer sich etwas tiefergehender mit dem Thema Polarreisen und Expeditionskreuzfahrten beschäftigt, begegnet fast zwangsläufig dem schwedischstämmigen Amerikaner Lars-Eric Lindblad. Dieser gilt als der Begründer der modernen Expeditionskreuzfahrt, also als Erfinder von Seereisen mit kleinen Schiffen in entlegene Regionen, wie zum Beispiel die Polargebiete unseres Planeten. "Nicht so schnell!", möchte man nach der Lektüre von Sandra Walsers großartigem Buch "Auf Nordlandfahrt: 1896 von Hamburg nach Spitzbergen" sagen, welches wir hier im Folgenden im Rahmen unseres Poseidon Expeditions Buchclubs etwas näher vorstellen wollen.

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Zunächst aber einmal: Ehre, wem Ehre gebührt. Lars-Eric Lindblad war unbestritten der Erste der touristische Expeditionskreuzfahrten in die Antarktis veranstaltete und seine Pionierleistung in diesem Feld bleibt unbestritten. Über die Würdigung Lindblads wird jedoch vergessen, dass schon vor 120 Jahren, in der Zeit des aufkommenden Bürgertums, der Belle Époque und der Entstehung des Tourismus, eine internationale Elite aufbrach, um Unentdecktes zu erforschen. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es daher findige Pioniere der Touristik, die mit kleinen Reisegruppen abenteuerlustiger Gäste in die Polargebiete fuhren.


Der Begründer der Expeditionskreuzfahrt ist ein Kapitän aus Mecklenburg

So setzt im Sommer 1896 auch das kleine Dampfschiff Erling Jarl vom Hamburger Hafen aus Kurs auf Spitzbergen - also in Richtung des Randes der seinerzeit bekannten Welt. Organisiert wurde diese touristische Nordlandfahrt vom Mecklenburger Kapitän Wilhelm Bade. Der Wismarer verfügte über wahrlich eindrucksvolle Polarerfahrung. Hatte er doch im Rahmen der schicksalhaften Zweiten Deutschen Nordpolar-Expedition die Gefahren des hocharktischen Packeises am eigenen Leib erlebt. Das Schiff auf dem Bade seinerzeit als Zweiter Steuermann diente, wurde vor Ostgrönland vom Packeis eingeschlossen, vom Eis zerdrückt und sank. Bade und die anderen Expeditionsteilnehmer retteten sich auf eine immer kleiner werdenden Eisscholle und drifteten auf dieser 1.200 Seemeilen südwärts, bis sie sich schließlich in letzter Minute von der immer kleiner werdenden Scholle retten konnten.

Diese spektakuläre Rettung verlieh Wilhelm Bade in Deutschland den Status eines Polarhelden. Seinen Ruhm nutzte er geschäftstätig, in dem er zunächst einige Jahre als Vortragsreisender seine Geschichte erzählte und schließlich begann touristische Seereisen in Form von Expeditionen mit (seiner) Expertenbegleitung zu veranstalten. Bade war somit der Erste, der regelmäßige Polarkreuzfahrten mit einem durchdachten Konzept veranstaltete. Was Wilhelm Bade vor über 120 Jahren begründete, bildet bis heute die Grundlage aller Expeditionskreuzfahrten.

Ein schweizer Maler als Bildreporter auf Nordlandfahrt

Als die Erling Jarl am 14. Juli 1896 Richtung Spitzwegen aufbricht, befinden sich 52 Gäste an Bord des Dampfers - sieben Frauen und 45 Männer, die überwiegende Mehrzahl Adelige oder wohlhabende Großbürger. Ein Teilnehmer will jedoch nicht so recht in diese gehobene Gesellschaft passen. Es ist der 29-jährige Schweizer Maler Hans Beat Wieland. Er hat erst zwei Tage vor der Abfahrt der Erling Jarl die Zusage für die Teilnahme an der Reise erhalten. Wielands Antrieb - er will die Landschaft oberhalb des Polarkreises erkunden und mit seinen künstlerischen Mitteln erfassen. Eine Landschaft, die so viele Parallelen zu seiner Schweizer Heimat verspricht. Finanzieren kann Wieland die Reise weil er im Auftrag der "Leipziger Illustrierten", die ihn quasi als zeichnenden Reporter an Bord schickte, vom Start von Salomon August Andrées Ballon-Expedition zum Nordpol berichten soll. Die geplante Begegnung mit dem schwedischen Polarforscher ist, neben einer totalen Sonnenfinsternis zum Ende der Reise, ein Highlight der Reise.

Etappe für Etappe entlang der historischen Reiseroute von Hamburg nach Spitzbergen

Dank Sandra Walsers gründlichst recherchiertem Buch können wir uns als Leser auf die Fersen von Hans Beat Wieland und seinen Reisegefährten machen. Das mit historischen Fotografien und Bildern Wielands wundervoll illustrierte Buch führt uns Etappe für Etappe auf eine eindrucksvolle Entdeckungsreise entlang der historischen Reiseroute von Hamburg über die norwegische Küste bis hinauf in das Eis Spitzbergens. Auch die Anlandungen rekonstruiert Sandra Walser anhand von Reiseaufzeichnungen. Und selbst die weiteren Reiseteilnehmer hat sie, so weit irgendwie möglich, recherchiert und so ein packendes Bild einer der ersten touristischen Expeditionsfahrten gezeichnet. Man spürt beim Lesen des Buches wirklich in jeder Zeile die Begeisterung der Historikerin, die uns mit Ihrer Arbeit in eine Zeit führt, in der der Tourismus im Allgemeinen und der Polartourismus im besonderen noch jung war.

Allen Polarbegeisterten können wir "Auf Nordlandfahrt" nur wärmstens empfehlen. Es ist zudem, trotz der zeitlichen Distanz der liebevoll detailliert beschriebenen historischen Reise von nunmehr 120 Jahren, auch sehr gut zur Vorbereitung auf eine Spitzbergen Kreuzfahrt geeignet.

Haben Sie auch einen Polar-Buchtipp? Dann freuen wir uns über Ihre Empfehlung.